2+1 in Ludwigshafen | Project for Youngsters
2+1 wurde 2004 von Selda Asal und Ceren Oykut als eine Untergruppe des Apartment Projekts gebildet. Die Beteiligten wechseln entsprechend der Dynamik der Projekte. Bis heute wurden 12 partizipative Kunstprojekte mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus Deutschland, Frankreich, Dänemark und Schweden sowie mit Jugendlichen der kurdischen, alevitischen und lasischen Minderheiten in der Türkei entwickelt. Außerdem wurde sowohl mit Frauen aus dem Iran, für die das öffentliche Singen verboten ist, als auch mit alternativ lebenden Jugendlichen in postkommunistischen Ländern in der Transformation wie Estland, Georgien, Armenien oder Aserbaidschan zusammengearbeitet. Von Anfang an wurde das Projekt, das sich im Kern um Begriffe wie “erkennen, kennenlernen, verstehen, der Stimme Gehör verschaffen” dreht, in Ausstellungen, Biennalen, lokalen Geschäften, Supermärkten und öffentlichen Räume wie Bahnhöfen ausgestellt.
Apartment Projekt wurde für das von Öykü Özsoy kuratierte und vom Willhelm-Hack-Museum und der Kulturstiftung des Bundes unterstützte Projekt Hack&The City für zweieinhalb Monate nach Ludwigshafen eingeladen. Das Projekt wurde von Selda Asal, Göksu Kunak, Berk Asal und Irene Baumann erarbeitet. Özgür Erkök Moroder, Birgit Auf der Lauer, Eleni Mouzourou und ON/OFF (Berlin) sowie die Musiker Zafer Sarısoy aus Hemshof und Leroy aus Mannheim unterstützen das Team, das in der Rudolf-Scharpf-Galerie in Hemshof lebt und arbeitet. Für dieses Projekt hat es mit dem Treff International – dem Treffpunkt der Jugendlichen von Hemshof und auch mit SchülerInnen des Carl-Bosch-Gymnasiums und der Realschule plus am Ebertpark zusammengearbeitet. Kollaborationen mit Projekträumen in der Region, Performances und Gesprächsrunden werden nach der Ausstellungseröffnung vom 28. Juni bis 13. Juli 2014 stattfinden.inner circle
Nachdem Eleni, die uns für die verbleibende Zeit in Hemshof unterstützen wird, am 10. Juni ankam, kochten wir gemeinsam und begannen uns über das wie, was und warum unseres Projekts zu unterhalten.
Göksu: Vielleicht fangen wir mit der Arbeitsweise von 2+1 an und inwiefern sie in Hemshof zum Tragen kommt?
Selda: Unser Projekt teilt sich in 5-6 Routen auf. Mit Hilfe jeder dieser Routen erproben wir verschiedene Wege sich auszudrücken. Jugendliche werden dazu ermuntert diverse Methoden auszuprobieren, um ihre eigene Ausdrucksform zu finden. Deshalb ist es notwendig mehrere ganz unterschiedliche Workshops anzubieten. All die verschiedenen Ergebnisse und Erfahrungen bringen das Projekt zum Leben. In gewisser Weise sollen die Workshops eine Umgebung schaffen, die kulturelle Vielfalt und die Träume und Anliegen der Jugendlichen sichtbar machen kann. Die Leitidee ist: wie kann man den Sound von Hemshof einfangen; wie eine Verbindung zwischen der Öffentlichkeit in Hemshof und uns als KünstlerInnen schaffen. Im Kern dreht sich alles darum, einander kennenzulernen.
Durch diese Prozesshaftigkeit gibt es keine feste Definition davon was wer zu tun hat. Jede/r hat entsprechend ihres/seines Metiers eine Hauptaufgabe, doch zudem arbeiten alle als AssistentIn der/des Anderen. Wir fragen: wer braucht etwas? Und dann wird geholfen. Das ist ablenkend – aber auch wirkungsvoll. Eines der vorrangigen Ziele ist es, die Herausforderung anzunehmen, an Grenzen zu gehen und aus den gemeinsamen Erfahrungen zu lernen.
In meinen vorherigen Projekten habe ich immer mit Menschen gearbeitet die als „marginal“ bezeichnet werden, die an den Rändern der Gesellschaft leben; die aus Konfliktgebieten kommen oder dort leben. Menschen mit Migrationshintergrund in Ländern wie Schweden oder Frankreich; in postkommunistischen Staaten wie Estland, Georgien oder Armenien; Minderheiten in der Türkei… Ein entscheidendes Medium des Projekts ist das Rap-Musikvideo. Gerade in Bezug auf die Geschichte des Raps und seine Verbindung zur street culture, passt das genau zu dem worauf wir abzielen. Es ist eine energische, eine kraftvolle Art sich auszudrücken. Wir fangen meist mit Interviews an, um die Leute zunächst etwas kennenzulernen. Wir stellen Fragen, die sie zum Nachdenken über ihr Sein anregen sollen: welche Richtung wollen sie einschlagen, was bedeutet Leben für sie. Danach kommen die Plakate. Wir nutzen diese, um einige Aussagen hervorzuheben. Jemand der sich durchkämpfen muss hat oft viel zu erzählen… Das ist auch mit dem Rap-Video verknüpft – die Texte, die die Kinder oder Jugendlichen für die Songs schreiben können auch zu Slogans für die Poster werden, oder umgekehrt.
Die Klangkarte konzentriert sich wieder auf den Sound von Hemshof. Sie gibt einige der Geschichten von Menschen, denen wir begegnet sind, wieder. Durch das Lesen und Hören der Karte lernt man mehr über die Nachbarschaft und entwickelt eine besondere Beziehung zu ihr.
Den versteckten oder unterdrückten Klang von Hemshof befreien, Klang aufspüren, hörbar machen… Im Grunde haben wir den Stadtplan von Hemshof genommen und darauf aufbauend ein Diagramm entwickelt, welches unsere eigene Interpretation und Wahrnehmung abbildet. Diese vereinfachte Karte enthält die Orte an denen wir täglich vorbeikommen. Auch hier geht es wieder um die Frage des Sich-Ausdrückens. All unsere (zufälligen) Begegnungen bringen Beziehungen zu bestimmten Menschen und Orten hervor. Was wir durch das mit Sensoren versehene Diagramm hören, sind Ausschnitte aus dem Film den wir hier leben und erlebt haben. Collagen von Geschichten… Eine von diesen, unsere, beschreibt etliche Leben. Schnittpunkte…
R: Um das alles in der Ausstellung vermitteln zu können nutzen wir diese Karte mit Bewegungssensoren. Sie ist sozusagen personalisiert.
G: Sie bildet generell unsere eigenen Routen in Hemshof und einigen Teilen Ludwigshafens ab. Durch unsere Begegnungen mit seinen BewohnerInnen erzählen wir die Geschichte.
E: Benutzt ihr einen herkömmlichen Stadtplan? Markiert ihr spezielle Orte in Bezug auf ihren Sound?
Berk: Stell dir eine Karte vor, auf der nur die Orte die wir gebrauchen oder an denen wir Spuren hinterlassen gezeichnet werden. Das Projekt wird auf eine Art für die Karte nutzbar gemacht. Wir machen die Straßen, die wir verwenden sichtbar; die Läden, in die wir gehen, die Restaurants, in denen wir essen, Schulen, in denen wir arbeiten und so weiter. Die werden alle auf der Karte zu sehen sein, sowie einige bekannte oder repräsentative Orte. Zum Beispiel die „twintowers“ von Hemshof.
G: Hast du dieses Hochhaus schon gesehen? Es ist der ehemalige Hauptsitz von BASF. Heute ist es nur ein Geist, ein leerstehendes Gebäude. Vor kurzem hat man angefangen einige Teile für Geschäfte zu sanieren.
S: Ludwigshafen war als riesige, reiche Stadt geplant. Dieses Gebäude war zum Bauzeitpunkt das höchste in ganz Europa. Auch der Bahnhof ist sehr interessant. Er ist fast wie ein Flughafen angelegt, ich meine so großflächig. Nach einer Veränderung im deutschen Steuergesetz musste die BASF ihre Steuern nicht mehr nur an Ludwigshafen zahlen, sondern konnte dies (über die Tochterfirmen) auch woanders tun. Das hat die finanzielle Situation der Stadt stark verändert.
Es gibt auch einen Möbelworkshop.
B: Ich machen mit den Kindern einen Möbelworkshop, wir bauen den …
G: Hemshof Bloook!
B: Hemshof Blok! …und ich habe es ihnen leicht gemacht dieses Ding selbst aufzubauen. Sie lernen wirklich schnell, sie machen es intuitiv. Ich habe einen Mustertisch entwickelt, an dem sie die Einzelteile zusammenbringen und –schrauben… Das funktioniert bis jetzt tatsächlich sehr gut.
Ich setze durch, dass das Ergebnis niemandem gehört. Ich habe das Aufbauprinzip so konzipiert, dass der der/die ErbauerIn unbekannt bleibt. Jedes Kind fertigt einen Teil an und ich lege diesen irgendwo ab. Dann kommt die nächste Klasse und baut weiter, jedoch wissen sie nie was von wem gebaut wurde. Manchmal verstecken sie die Teile. Wenn ich das bemerke, komme ich und bringe sie wieder durcheinander.
E: Ist es immer das gleiche Modul?
B: Ja. Ich habe versucht, diese Trennwand des Besitzens zu durchbrechen. Manche der Hemshof Bloks werden an der Schule bleiben, manche ans Museum gehen.
S: Wir sollte den Stencil Workshop, der am Anfang gar nicht geplant war, nicht vergessen.
R: Der Stencil Workshop ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich der Prozess von 2+1 mit den Situationen verändert.
G: Hinsichtlich dessen wollte ich erstmal fragen, wie sich Hemshof im Vergleich mit den vorherigen Projekten unterscheidet. Warum haben wir beispielsweise mit den Stencils angefangen?
R: Für mich ging es dabei größtenteils um Sichtbarkeit. Stencils und Poster für die teilweise eher unbelebten Gegenden zu machen; die Gesichter und Aussagen der Jugendlichen ins Stadtzentrum, das etwas trostlos ist, zu bringen, ist – in Bezug auf die urbanen Dynamiken – ein Prozess der (Re-)Appropriation.
S: Jeder Ort hat seine eigene Dynamik, die dich auf einen anderen Pfad lenkt. Man muss vorherige Ideen auch verwerfen können, wenn es notwendig ist. Ganz klar: jeder Ort an dem ich für dieses Projekt war, war eine neue Herausforderung. Ich war in Stockholm, Teheran, Tbilisi, Baku und vielen anderen Städten, aber ich würde sagen Hemshof ist am schwierigsten. Es ist wie ein eigenes Land: dynamisch, überraschend. Man kann hier nicht von einem bestimmten, linearen Arbeitsablauf sprechen. Wir arbeiten mit ganz unterschiedlichen Gruppen aus der Stadt: Hemshofer Jugendliche vom Treff International, SchülerInnen der Realschule plus am Ebertpark und des Carl-Bosch-Gymnasiums, das an der Grenze von Ludwigshafen Mitte und Hemshof liegt. Du musst dich jeden Tag verändern, neue Wege finden. Manchmal funktioniert die Methodik die du ausprobierst nicht. Man muss ihnen in die Augen schauen und beobachten, ob da noch dieses Funkeln ist oder nicht. An manchen Tagen mögen wir enttäuscht sein, uns verloren fühlen – doch der nächste Tag heitert uns vielleicht wieder auf. Als beispielsweise das mit den Videos und Postern bei einer Gruppe nicht geklappt hat, weil sie Bedenken hatten, ihre Gesichter zu zeigen oder Schwierigkeiten Slogans zu finden, beschlossen wir mit Stencils weiterzumachen. Die Gesichter sind dabei sozusagen stilisiert, nicht so erkennbar… Nur die Jugendlichen selbst konnten sich identifizieren. Demzufolge nahmen wir kurzerhand eines Nachts unsere Cutter und legten los. Auch Öykü hat mitgeholfen.
G: Wir fingen auch mit den Stencils an, weil es schwierig ist mit den Jugendlichen im Treff International zu kommunizieren. Ab und zu scheinen sie arbeitsfreudig, nach 15 Minuten können sie dann schon wieder weg sein. Manche Kinder zeichnen oder schreiben kurze, aber wirksame Dinge. Aus solchen, wie zum Beispiel Hemshof 67063, haben wir angefangen Stencils zu machen.
S: Aus einigen habe ich auch einen animierten Film gemacht. Ich dachte so könnten wir vielleicht etwas Aufmerksamkeit wecken. Das hat ganz gut funktioniert. Danach fingen mehr Kinder an, ähnliche Dinge zu schreiben und zu malen. Dieses Bild, Hemshof 67063, ist nicht unbedingt persönlich, erzählt aber davon, wo sie hingehören; ist eine Art Symbol.
Dein Bild ist killa valla ya!
S: Nachdem wir die halbe Nacht gecuttet hatten, gingen wir ganz gespannt zum Treff; fragten uns wie sie reagieren würden. Anfangs standen sie alle um den Tisch herum. Aber drei Minuten haben gereicht, danach waren sie weg… Nur die Jüngeren blieben da. Zumindest hatten wir kurz ihre Aufmerksamkeit. Ein paar Tage später sahen sie ihre Gesichter auf der Fensterfront des Frauencafés – ein Treffpunkt für die Frauen in der Nachbarschaft mit dem wir auch mal zusammengearbeitet haben. Ich glaube das hat die Lage dann ein bisschen verändert. Bis du etwas vorzeigen kannst vertrauen sie dir nicht. Vertrauen ist in unserem Projekt wirklich wichtig. Vertrauen ist das Ergebnis; aus diesem Ergebnis entwickelt sich erneut etwas.
E: Stellen sie euch je Fragen? Als ich die Projektbeschreibung las dachte ich, es könnte ein schwieriger und persönlicher Prozess sein. Wenn du zu direkt fragst könnten die Jugendlichen denken: wer ist das überhaupt, warum fragt er/sie mich danach.
S: Ich vermute manche von ihnen haben sich entschieden uns zu ignorieren . Das haben wir durch ihr Verhalten zu spüren bekommen. Das ist auch einer der Gründe warum wir so verschiedene Wege ausprobiert haben. Der Projektmanager des Treffs, İbrahim Yetkin, hat uns sehr geholfen, ohne ihn wäre das sehr kompliziert geworden.
R: Die Fragen, die ich gehört habe waren „Wofür?“ und „Warum macht ihr das hier?“. Sie sagen das nicht direkt, aber eher gemeint ist: „Soll das Kunst sein?“ oder „Warum lebt ihr in einer Galerie?“; „Warum soll ich jetzt etwas von mir mit euch teilen?“. Das braucht natürlich mehr Zeit, die wir nicht hatten.
B: Warum? Warum machen wir das hier?
S: Wir sind die ÜbersetzerInnen, die VermittlerInnen, die etliches Werkzeug einsetzen. Wir fragen sie nach ihren Träumen, aber teilen auch Hoffnungen und Ideen. In meinen vorherigen Projekten, in denen ich die Möglichkeit hatte mit einer Gruppe für zwei Monate kontinuierlich zu arbeiten, habe ich ihnen wirklich geholfen. Hier – ich weiß nicht, es ist zu früh um das zu sagen.
Nach unsrem Gespräch, frühmorgens am nächsten Tag, hatten wir Gäste von der Realschule plus am Ebertpark. Obwohl wir von den vorherigen Tagen müde waren, hatten wir die Chance für eine längere Zeit mit ihnen zusammenzuarbeiten. Es war der erste Tag eines 3-tägigen Workshops, gleichwohl arbeiteten fast alle Kinder fleißig an Postern, Stencils oder an einem Rap – eine Gruppe von 5-6 Kindern schrieb eine Kurzgeschichte mit Reimen und fing sofort an zu rappen. Das zeigte wieder, wie wichtig Vertrauen ist. Auch wenn wir uns erst zwei Stunden zuvor getroffen hatten, erlebten wir intensive Momente zusammen und hatten somit Zeit ihr Vertrauen zu gewinnen. Fatehma und Akos waren am Anfang sehr schüchtern. Später dann machte Fatehma sowohl die Poster als auch Stencils und zeigte eine Vorliebe fürs Schreiben. Obwohl er keine Lust hat selbst zu performen wird Akos auf jeden Fall tolle Texte beisteuern. Am Ende haben wir die Stencils geschnitten und gesprüht. Die Begeisterung der Jugendlichen hat uns motiviert.
R: Ich habe das Gefühl in Hemshof konzentrieren wir uns auch auf Einzelpersönlichkeiten. Wir treffen wirklich spannende Charaktere. Hemshof ist voller Originale, wie Hemshof Friedel, Zafer, Adriana…
G (zu Reni): Ich wollte dich auch noch fragen: in diesem Prozess des Lebens und Arbeitens für ein Kunstprojekt als Anthropologin, was sind deine Beobachtungen über Hemshof? Du bist später dazugekommen, bist aber direkt in diesen bunten Mischmasch eingetaucht.
R: Die anthropologische Methode ist ja die Feldforschung, und die Situation in die ich hier kam war wirklich perfekt für eine solche Untersuchung. Nur zwei Tage nach meiner Ankunft hatte ich schon so viele Menschen getroffen, um einen Vorstellung von der Nachbarschaft zu bekommen. Den Ortsvorsteher, Herr Prioli, SchuldirektorInnen und –LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und Jugendliche mit ganz verschiedenen sozio-ökonomischen Hintergründen… Aber im Kunst-Kontext zu arbeiten war ja völlig neu für mich. Normalerweise hätte ich mich noch mehr auf Recherche über den Kontext, die Geschichte des Stadtteils etc. konzentriert. Aber was ich schnell begriffen habe ist, dass es bei 2+1 sehr um den Moment geht; die Kraft des Moments… Auch um Spontaneität. Im Apartment Projekt, und bei 2+1, übernimmt jede/r von uns so viele Aufgaben; wir sind TechnikerIn, Graffiti-SprüherIn, KünstlerIn, Poster-GestalterIn, AutorIn, Koch/Köchin, Putzkraft, TrägerIn, ÜbersetzerIn, PädagogIn, AnthropologIn, DesignerIn, EditorIn… Das ist Interdisziplinarität…
Ich finde eigentlich Hemshof ist der beste Teil von Ludwigshafen, weil auf den Straßen was los ist. Es gibt so viele Kleinigkeiten, die schwierig zu verstehen sind; chaotisch, aber lebendig. Interessant ist zum Beispiel inwiefern die ältere Generation einen starken Einfluss darauf hat, wie Jüngere über Themen wie Nationalität sprechen. Zum Beispiel hängen eben noch zwei Jungs mit unterschiedlichen Geburtsländern zusammen rum und haben eine gute Zeit, im nächsten Moment machen sie sich anhand von uralten Konfliktlinien zwischen diesen beiden Ländern oder Bezugsgruppen blöd an.
S: Ja, man könnte sagen die Stadt ist in mehrfachem Sinne segregiert. Um etwas über Ludwigshafen zu verstehen reicht es auf den Stadtplan zu schauen. Die räumliche Struktur sagt viel aus. Die Stadtteile sind abgetrennte, inselähnliche Nachbarschaften. Vorhin hat Zafer uns sogar erzählt, dass man als TürkIn nicht in einen deutschen Club reinkommt, und umgekehrt. Das ist natürlich nicht zu verallgemeinern, jedoch leben in Hemshof – nach meiner Beobachtung – die meisten Menschen eher in ihren eigenen kulturellen Kreisen und interagieren nur wenig untereinander.
G: Auch die klischeehaften Strukturen in traditionellen Familien sind augenscheinlich. Zum Thema Hemshof sollten wir noch nach Berks Sicht fragen, da er schon ähnliche Projekte für Kinder durchgeführt hat (wie zum Beispiel das Projekt „Emma“ mit dem raumlabor). Wenn du Hemshof betrachtest – was ist hier anders?
B: In diesem Sinne ist die Gräfenauschule ziemlich speziell. Die Kinder sehen den Workshop als Geschenk, sie wollen wirklich gerne teilnehmen. Sie sind jünger als die Altersgruppe mit der ich bisher gearbeitet habe. Die Gräfenauschule ist eine lokale, internationale Schule. Allein in der Klasse, mit der ich arbeite sind Kinder aus 7-8 verschiedenen Ländern. Sie scheinen sich sehr gut zu verstehen. Viele von ihnen kommen nach Schulschluss, warten auf mich und wollen weiterarbeiten.
G: Sie kommen angerannt und wollen dich umarmen!
S: „Berk Abiii [großer Bruder], Berk Abiii“. Es ist wirklich süß.
B: Sie möchten mir sogar dabei helfen, Schrauben vom Boden aufzulesen o.ä. Oft fragen sie mich, was oder wie es denn wird, was wir da bauen. Jedes Mal antworte ich etwas anderes, entweder ein Tisch, Stuhl, Regal und so weiter. In diesem Fall erlauben mir die Modularität und Multifunktionalität des Elements das zu sagen, und sie finden es immer „cool“.
S: Ein Lehrer gab in der Schule die Hausaufgabe einen Brief zu schreiben und einige haben ihn an Berk geschrieben.
B: Ich denke es hat wirklich gut geklappt. Die Kinder haben ein besseres Verständnis. Nach und nach sagen sie nicht mehr nur ich. Sie tendieren dazu, Dinge wie die Werkzeuge eher zu teilen als sich auf ihr Verlangen nach einer Art Eigentum zu konzentrieren. Ein Kind sagt immer „Ich habe es noch gar nicht gemacht, die anderen lassen mich nicht“. Dann frage ich: „wer sind die anderen?“ Man kann leicht erkennen, wer in der Gruppe das Sagen hat. Ich gehe dann auf beide Kinder zu und gebe das Werkzeug vom dominanten an das andere Kind. Irgendwann fangen sie an zusammenzuarbeiten. Ich erlebe, dass kein Kind besser als das andere ist. Wenn ihnen die Chance gegeben wird etwas zu machen, tun sie es auch.
Es gibt viele Geschichten zu erzählen… Es gibt dieses eine Kind, das an alle die Aufgaben verteilt: „du fegst den Boden, du trägst das Holz…“ Er arbeitet selbst auch fleißig. Er hat sogar mit Fegen angefangen! Wenn ein Neueinsteiger kommt und etwas bauen will sagt er: „du kannst noch nicht an diesem Teil arbeiten, du musst erst fegen“. (Gelächter)
G: Klein anfangen und aufsteigen…
S: Berk hat seine eigene kleine Welt dort, während wir mit den Jugendlichen zu kämpfen haben. (Gelächter)
G: Sie machen sich sogar über uns lustig!
S: Sie ahmen uns wegen unseres Istanbuler Türkischs übertrieben nach. Aber sogar in so einer Situation sind wird froh zu sehen, dass sie irgendeine Art von Bezug zu uns herstellen! Wir haben sie sogar gebeten so zu rappen.
E: Ich denke die Kinder sind fasziniert davon einen Akkuschrauber oder eine Säge zu benutzen. Wie ich gesehen habe kann man beim Hemshof Blok von Anfang an auf einem Plan sehen, was am Ende herauskommen soll. Vielleicht sind sie auch deswegen so begeistert.
G: Wir konnten mit keiner Gruppe kontinuierlich arbeiten. Wegen ihrer Schulorganisation, da hat sich immer etwas verändert. Aber es stimmt, die Kinder an der Gräfenauschule können täglich Fortschritte sehen.
Hemshof Friedel
E: Wer ist Hemshof Friedel?
G: Als ich Hemshof auf Google gesucht habe, bin ich auf dieses Buch mit dem Namen Hemshof Boogie gestoßen, allerdings habe ich mich in dem Moment nicht näher damit befasst. Ein paar Tage später wachte ich auf und das erste was mir in den Sinn kam war: „Warte mal, was war dieser Hemshof Boogie?“ Dann habe ich angefangen zu recherchieren, es ist ein Lied von Hemshof Friedel. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt diese nach Ludwigshafen, um ihren Zwillingsbruder zu suchen. Obwohl sie ihn nicht finden kann bleibt sie in Hemshof. Sie arbeitet als Schweißerin und Prostituierte, vor allem jedoch ist sie Straßenmusikerin – sie schreibt eigene Lieder und singt. Sie ist eine Ikone hier.
Im Hemshof Boogie singt sie: Jeder möcht’ einmal auf der großen Bühne steh’n wie ich, jeder möchte mal den Applaus haben.
R: Sie starb nach zwei Tagen Dauertrinken und -singen auf einem großen Weinfest! Das hat ihre Leber nicht mitgemacht… Es ist witzig über Hemshof zu recherchieren, weil man wirklich komische Verbindungen findet, so wie „Hemshof Indianer“ oder „Wild West am Rhein“. Einige der ersten deutschen Westernfilme wurden hier gedreht. Davon habe ich in einer für „Touristen“ erstellten, reichlich geschönten Broschüre über den Hemshof gelesen – ein gutes Beispiel für Stadtteilmarketing. Diese Verknüpfung von der heutigen Meinung der Leute über Hemshof als dem schlimmen Viertel, oder von Ludwigshafen als graue, trübe Stadt und diesen Wörtern wie Boogie, Indianer ist irgendwie paradox. Nachdem ich diese Broschüre gefunden hatte, war Birgits Laporello-Workshop mit dem Carl-Bosch-Gymnasium. Eine der fragen die Birgit stellte war „Was magst du am wenigsten an Ludwigshafen?“ und die meisten von ihnen zeichneten Hemshof. Einige der SchülerInnen waren für den Besuch in unserem Studio aber überhaupt das erste Mal in diesem Viertel. Beide Darstellungen sind Klischees, oder verdichtete Vorstellungsbilder davon wie dieser Ort vermeintlich ist.
G: Unser Nachbar Gazi meinte gestern auch „Hemshof ist Texas“.
S: Alles in allem, wenn wir auf ihren Liedtext zurückkommen: tatsächlich würde jede/r gerne auf der Bühne zu sehen sein.
G: Metaphorisch gesprochen…
S: Genau. Das passt gut zum Konzept unseres Projekts, die Stimme der Jugendlichen im öffentlichen Raum hervorzuheben. Stencils, Poster; die Videos in den Geschäften, Supermärkten zu zeigen; die Fernseher von Saturn, Media Markt zu nutzen… Unser Projekt zielt nicht nur darauf ab, Menschen, Orte und Situationen in neue Zusammenhänge zu setzen oder für die „Kunstszene“ an einer Ausstellung zu arbeiten; sondern auch darauf, die Jugendlichen wahrnehmbar zu machen, ihre Existenz sichtbar zu machen. Deshalb ist das Lied relevant. Hemshof Friedel musste auch viel kämpfen um irgendwie zu bestehen.
G: Die Bühne als Metapher… Wenn wir zum Treff gehen oder GymnasialschülerInnen herkommen, jeder Moment in dem wir von ihnen lernen, die richtigen Fragen abwägend, beim Versuch mehr über ihre existentiellen Anliegen zu lernen… Der Fakt, dass wir ständig umgestalten ist ebenso eine Performance an sich. Jedes Mal sind wir auf der Bühne, die Augen des Publikums für einen Applaus am Ende suchend…
Teilnehmer_Innen:
Berk Asal, Eleni Mouzourou, Göksu Kunak, Özgür Erkök Moroder
Kollektive:
2 + 1
Projektart:
Ausstellung, Workshop
Jahr:
2014